Seit kurzem liest man immer wieder Berichte in den Medien, dass es in Großbritannien zu wenige LKW-Fahrer gibt und daher mittlerweile Lieferketten in Supermärkten zusammenbrechen und Tankstellen nicht beliefert werden können. Die Artikel suggerieren dabei vor allem eines: Diese Krise in Großbritannien sei eine Folge des Brexit. Mit der darin enthaltenen unausgesprochenen Warnung an andere europäische Länder, bloß nicht daran zu denken, es den Briten gleichzutun und die EU zu verlassen. Denn dann würde dem unbotmäßigen Staat nach dem Austritt ebenfalls eine Mangelwirtschaft drohen. Doch ist das wirklich so oder handelt es sich dabei um ein überregionales Phänomen?
Die Transportbranche schlägt Alarm. Es droht ein Kollaps der Lieferketten. In Deutschland fehlen derzeit 60.000 bis 80.000 Lastwagenfahrer. Denn viele der bislang als LKW-Fahrer Beschäftigten wandern in andere Branchen ab. Leere Supermarktregale und geschlossene Tankstellen in Großbritannien machen es derzeit deutlich: Ohne Lkw-Fahrer läuft nichts. Auch Seeleute und Flugzeugcrews werden gebraucht, um die mittlerweile immensen globalen Warenströme in Gang zu halten. Jetzt haben internationale Transportverbände und Gewerkschaften in einem offenen Brief an die UN-Vollversammlung appelliert, die „humanitäre Krise“ in der Branche zu beheben und einen Zusammenbruch der Lieferketten zu verhindern.
Die Beschäftigten in den Lastwagen und Flugzeugen und auf den Schiffen haben während der Pandemie den Welthandel am Laufen gehalten, und das unter oft widrigen Bedingungen. So durften beispielsweise 400.000 Seeleute über viele Wochen hinweg ihre Schiffe nicht verlassen. Eine immense Belastung für die Besatzungen auf engem Raum. Flugzeugcrews haben es wegen Corona mit uneinheitlichen Grenz- und Reisebestimmungen und Impfvorschriften zu tun gehabt. Auch dies eine große Belastung für die Branche. Lkw-Fahrer waren aufgrund der harschen Einschränkungen wegen Corona zu Tausenden gezwungen, oft wochenlang und unter häufig unhygienischen Bedingungen an Grenzen zu warten. Den bei der UN versammelten Regierungen wird dabei vorgeworfen, dass deren Verkehrsministerien nicht in der Lage waren, mit den Gesundheitsministerien zusammenzuarbeiten, um die Lage der Transportarbeiter zu verbessern. Die Verbände warnen daher die Politik nachhaltig: Wenn sich die Lage nicht schnell verbessere, dann werde die Krise in der Branche nicht nur auf unbestimmte Zeit andauern, sondern noch mehr Not verursachen. Denn wegen der schlechten Behandlung der Beschäftigten würden sich immer mehr Arbeitskräfte anderswo Jobs suchen. Und die Lieferketten würden noch stärker unter Druck geraten, während die Nachfrage nach Transportdienstleistungen im Zuge der weltweiten wirtschaftlichen Erholung weiter anziehe. Der Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Dirk Engelhardt, warnte daher schon kürzlich vor britischen Verhältnissen auch hierzulande. Er geht fest davon aus, dass „wir in Westeuropa die gleiche Situation haben werden – nur etwas zeitversetzt“. Es droht ein Versorgungskollaps. Denn auch in Deutschland fehlen mittlerweile zwischen 60.000 und 80.000 LKW-Fahrer. Zugleich gehen jedes Jahr etwa 30.000 Fahrer in Rente, während aber nur 15.000 Nachwuchskräfte pro Jahr nachrücken.
Die Krise der Lieferketten, sie ist also in erster Linie eine Krise der Corona-Regelungen. Und sie zieht weitere Kreise, als man sich dies in der Politik gerne eingestehen möchte. Sie betrifft nicht nur Großbritannien, sondern wird sich in absehbarer Zeit auch auf andere Staaten im Westen Europas ausweiten. Auch auf Deutschland, ob Mitglied in der EU oder nicht. Denn der Berufsstand des LKW-Fahrers ist zunehmend unattraktiv. Bereits zu „normalen“ Zeiten herrschte gerade in dieser Branche bereits ein besonderer Druck: Knapp kalkulierte Liefertermine, verstopfte Straßen, oft übermüdete Fahrer, kein geregeltes Familienleben, ein Leben „aus dem Koffer“ – und all das für wenig Lohn und gesellschaftliche Anerkennung. Diese ohnehin für Arbeitnehmer schon unbefriedigende Situation hat sich durch die oben beschriebenen Corona-Einschränkungen noch deutlich verschärft. Es ist daher durchaus nachvollziehbar, dass sich in der Branche Tätige nach einer Anstellung in anderen Berufszweigen umsehen, in denen sie einen geregelten Tagesablauf haben und ihr Einkommen sich hierbei oft verbessert oder zumindest leichter kalkulierbar und zuverlässiger ist – denn gerade in der Transportbranche sind auch zahlreiche Fahrer als Ich-AGs unterwegs mit all den hiermit verbundenen eigenen wirtschaftlichen Risiken. Und natürlich kann man unter diesen Bedingungen auch Schulabgängern den Einstieg in diese Branche immer weniger schmackhaft machen. Es ist daher im Sinne der Versorgungssicherheit dringend notwendig, diese aufgrund Corona eingeführten Restriktionen zu streichen und wieder einen ungehinderten und zuverlässigen Warenverkehr zu ermöglichen. Oder will man es seitens der Politik ernsthaft „darauf ankommen“ lassen? Denn wie bereits ein Blick in die Geschichte zeigt: Mit einem hungrigen Volk ist am Ende nicht zu spaßen…!
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Quelle: RND
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